Meine Rede zur Aktuellen Debatte "Tagebau Turow" am 03.02.2020

Veröffentlicht am 03.02.2021 in Pressemitteilung

Thema: Umwelt/Braunkohle

„Der Kohleausstieg ist eine europäische, wenn nicht sogar globale Aufgabe – da sind wir uns, mit Ausnahme der Klimawandelskeptiker und -leugner hier im hohen Haus – vermutlich auch einig. 

Aber, und hier möchte ich etwas Wasser in den Wein gießen, wird dieses Vorhaben auf europäischer Ebene nur gelingen, wenn wir möglichst viele Europäer dabei mitnehmen und auch entsprechende Angebote machen, um den dafür notwendigen Strukturwandel in die Wege zu leiten, zu begleiten und auch infrastrukturell und finanziell abzufedern. 

 

 

Das ist gerade in Anbetracht des wirtschaftlichen und politischen Stellenwertes der Kohleindustrie in Polen eine Herkulesaufgabe. Polen hat den Kohleausstieg zwar beschlossen, jedoch erst zum Jahr 2049. Das ist unbefriedigend, aber wir werden sehen, inwieweit die bereits jetzt stark gesunkene Wirtschaftlichkeit der Kohle, trotz enormer staatlicher Subventionen, und der immer mehr durchschlagende europäische Handel mit Emissionszertifikaten einen vorzeitigen polnischen Ausstieg möglich und auch erforderlich machen.  

 

Turów ist dafür – mit seiner Lage im Dreiländereck Deutschland, Polen, Tschechien – ein sinnbildliches Beispiel, aber, nicht nur das. Turów, Tagebau und Kraftwerk, haben eine lange Historie von Pannen und Unglücken und bereits der damalige CDU-Umweltminister Arnold Vaatz wollte in den 1990ern, dass das Kraftwerk geschlossen wird und löste damit fast einen Eklat aus.

 

Aber wir reden hier weniger über das Kraftwerk, dessen neuer Block auch gerade Thema eines Genehmigungsverfahrens ist, sondern über den Tagebau, für welchen die zuständige polnische Behörde im Frühjahr 2020 die Bergbaukonzession bis 2026 verlängerte. 

 

Im Rahmen der vorher erforderlichen Änderung des Flächennutzungsplanes wurde eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt sowie eine Umweltgenehmigung erteilt, die Bestandteil zwischenstaatlicher Konsultationen auf Behörden- und Öffentlichkeitsebene waren, jedoch nicht die Verlängerung der Bergbaukonzession betrafen. Zur Umweltverträglichkeit gaben sächsische Behörden unter Koordinierung des Oberbergamtes Stellungnahmen ab, deren Tenor zumindest teilweise in den veröffentlichten Unterlagen zum UVP-Beschluss nachzulesen ist.

 

Die Betroffenheit der Zittauer Region in all ihren Belangen, vom Abpumpen des Grundwassers über Bodenabsenkungen bis hin zur Versauerung der Lausitzer Neiße lässt sich nicht wegdiskutieren. 

Und diese Belange sollten wir ernstnehmen, da sie einen Teil der Oberlausitz und somit auch einen Teil der sächsischen Bevölkerung betreffen, auch wenn über das Ausmaß der Bodenabsenkung noch kein abschließendes Urteil gefällt werden kann und die Stadt Zittau mit einer Prognose von fast zwei Metern die mögliche Absetzung sehr dramatisch dargestellt hat.  

 

Auch die tschechische Seite ist nicht unwesentlich vom Tagebau betroffen, im Raum Hrádek nad Nisou wird befürchtet, dass knapp 30.000 Menschen infolge von Grundwasserabsenkungen in ihrer Trinkwasserversorgung gefährdet sein könnten. 

 

Die tschechische Seite war es, die den Anstoß gab, und im September 2020 eine Beschwerde bei der EU-Kommission einreichte, in welcher sie monierte, dass Polen im Zuge des Verfahrens der Verlängerung der Bergbaukonzession gegen Unionsrecht – insbesondere die Umsetzung der UVP-Richtlinie – verstoßen habe. 

 

Die Kommission gab der tschechischen Beschwerde in Teilen recht und monierte in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme neben dem generellen Verstoß gegen die Umsetzung der UVP-Richtlinie auch konkrete Verstöße gegen EU-Umweltrecht im Zuge des Bergbaukonzessionsverfahrens. Auf dessen Intransparenz auf polnischer Seite haben die Bündnisgrünen zurecht hingewiesen haben. 

 

Tschechien steht nun der Weg zum Europäischen Gerichtshof frei und wird ihn, dem bisherigen Vernehmen nach, auch beschreiten. Da der Freistaat sich nicht an diesem Verfahren beteiligen kann, fordern Grüne und Linke nun, wenigstens darauf hinzuwirken, die Bundesregierung aufzufordern, dass sich Deutschland als Streithelfer auf die tschechische Seite stellt. Da bislang keine Klage durch Tschechien eingereicht wurde, gilt es dies erst einmal abzuwarten. 

 

Es obliegt der Entscheidung der Staatsregierung, ob sie darauf hinwirken möchte. Weder dieser Entscheidung noch einem Klageverfahren vor dem EUGH können wir hier vorweggreifen, ich möchte aber anregen, einen Beitritt zur Streithilfe im Sinne der Betroffenheit der Menschen in der Region Zittau wenigstens zu prüfen.

 

Deutschland hat den Kohleausstieg spätestens zum Jahr 2038 beschlossen und insoweit sind wir jetzt in einer moralisch einfacheren Position, mit dem Finger auf die Nachbarn zu zeigen, auch wenn es vielen schon hierzulande zu lange dauert, wenn man die Vorgaben des Pariser Abkommens und entsprechende Zwischenziele auf EU- und Bundesebene in den Blick nimmt. 

 

Trotzdem, und damit möchte ich an den Eingang meiner Rede anknüpfen, kommen wir hier nur gemeinsam weiter und auch auf polnischer Seite muss und wird, auch mit Hilfe aus der EU, der Strukturwandel begleitet werden, damit die vielen Bergarbeiter und ihre Familien auf der polnischen Seite eine soziale Perspektive haben. 

 

Der polnische Kohleausstieg kommt vielen zu spät, aber ich hoffe, auch in Anbetracht der Begleitumstände, dass er deutlich früher kommt als 2049.“